15.05.2025
Exklusiv-Interview: Gemeinden mit dem Rücken zur Wand / Kocevar spricht Klartext über Geldnot und politischen Stil
Nach Stationen in der Landesgeschäftsstelle der SPÖ und im Landtag wurde Bürgermeister Wolfgang Kocevar am 24. Oktober 2024 als Nationalrat angelobt. Als Bereichssprecher für kommunale Angelegenheiten ist er für die Anliegen der Gemeinden zuständig. Diese stöhnen unter enormen Belastungen.
SERVUS NACHBAR traf sich am 12. Mai - am Tag genau 15 Jahre nachdem er als Bürgermeister angelobt wurde - mit dem Kommunal- und Bundespolitiker in seiner Stadt zum Exklusivinterview, um die Hintergründe zu erfahren.
SERVUS NACHBAR (SN): Nach 155 Tagen Verhandlungen wurde die aktuelle Regierung angelobt. Sie kommen aus der Landespolitik. Was ist der Unterschied?
Bgm. Abg. z. NR Wolfgang Kocevar: Eklatant überrascht und bedrückt hat mich die viel aggressivere und negative Stimmung. Man kann unterschiedlicher Meinung sein. Es kommt aber darauf an, wie man miteinander umgeht. Der Grundrespekt fehlt mir, vor allem bei der FPÖ. Im Landtag war das nicht so. Da war der gegenseitige Respekt höher.
SN: Diese Aggressivität merkt man – Stichwort Social Media – auch in der Bevölkerung, oder?
Kocevar: Das Parlament ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn wir kein besseres Vorbild abgeben und es dauernd Ordnungsrufe hagelt, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir so Politik verstehen. Ich habe mir vorgenommen beizutragen, dass mehr Stil und Respekt einziehen. Außerdem kommt man mit Gesprächen auch bei gemeinsamen Entscheidungen viel einfacher und effizienter weiter.
SN: Sie sind Bürgermeister und in Ihrer Parlamentsfraktion für die Gemeinden zuständig. Schaut es finanziell wirklich so schlecht aus, wie man hört?
Kocevar: Es sind sehr schwierige Zeiten. Erst heute früh im Ö1-Morgenjournal hat ein Bürgermeister der ÖVP geklagt, dass er mit immer weniger Förderungen und immer höheren Kosten konfrontiert ist. Und es ist keine Besserung in Sicht. Bund und Land haben keine Mittel und letztendlich bleiben die Gemeinden übrig. Sie musste Leistungen zurücknehmen und Förderungen kürzen. Es kommen unpopuläre Maßnahmen, die die Bürger direkt treffen.
SN: Kann das damit zusammenhängen, dass keine gute Politik im Ort gemacht wurde?
Kocevar: Nein, die meisten Gemeinden machen eine hervorragende Arbeit und sparen bereits seit Jahren. Da geht es nicht um die Arbeit der Bürgermeister. Die Ertragsanteile werden immer weniger und immer mehr Verantwortung und Kosten werden auf die Gemeinden abgewälzt. Das macht es für die Kommunen planungstechnisch ganz schwierig.
SN: Betrifft das in weiterer Folge nicht auch die Wirtschaft?
Kocevar: Richtig. Die Gemeinden sind die größten Auftraggeber in der Region. Sie sind Impulsgeber für die Wirtschaft. Wenn Gemeinden nicht mehr investieren können, ist die Spirale nach unten vorgezeichnet. In Ebreichsdorf haben wir zehn Kindergartengruppen gebaut und dabei Firmen aus der Region beauftragt. Immer mehr Gemeinden müssen aber solche Projekte verschieben. Das spürt die Wirtschaft.
SN: Was unternehmen Sie im Parlament dagegen?
Kocevar: Wir brauchen nicht nur Einmalzahlungen. Die sind nur ein Tropfen am heißen Stein. Sie erleichtern uns das Atmen, helfen aber strukturell nicht weiter. Um dies darzustellen, bin ich laufend in Kontakt mit Finanzminister Marterbauer und den Gemeindevertreterverbänden, wie beispielsweise mit GVV-Präsidenten und Nachbarbürgermeister Andreas Kollross. Es muss Strukturreformen geben. Jede Krise ist auch eine Chance. Jetzt müssen sich alle Beteiligten bewusst werden, dass nur Strukturmaßnahmen Veränderungen herbeiführen können.
SN: Wenn Sie sagen, „strukturell“, was ist konkret gemeint?
Kocevar: Die größten Brocken sind Gesundheit und Bildung. In beiden Bereichen gibt es Doppelgleisigkeiten und Kompetenzüberschneidungen. Hier gehört angesetzt. Wenn wir für die Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen mitzahlen müssen, dann wollen wir auch mitreden und -entscheiden. Bei der Bildung sind beispielsweise die Lehrer und Kindergartenpädagogen beim Land und alle anderen Mitarbeiter bei den Gemeinden angestellt. Das schafft doppelte Kosten und Verunsicherung. Auch die Grundsteuer muss neu gedacht werden. Da ist ewig nichts passiert. Wir müssen die Krise nützen, um Dinge neu zu denken.
SN: Welcher Zeithorizont schwebt Ihnen dafür vor?
Kocevar: Es braucht sehr rasch Unterstützung. Aus der Krise muss herausinvestiert werden, sonst funktioniert die Wirtschaft nicht mehr. Das muss noch 2026 / 2027 passieren. Wenn Gemeinden Sanierungsmaßnahmen wegen Geldmangel hintanstellen müssen, ist das nicht nur fahrlässig, sondern auch gefährlich.
SN: Stichwort Grundsteuer, wird es zu Einschränkungen bei der Bevölkerung kommen?
Kocevar: Noch spürt es der Bürger nicht. Aber es wird nicht anders gehen, dass Gemeinden Leistungen und Subventionen einstellen müssen. Als Bürgermeister ist man in der Zwickmühle. Man muss das Budget im Griff haben. Das geht aber nur, wenn man unpopuläre Maßnahmen setzt. Das wird nicht ausbleiben
SN: Apropos unpopulär: Die Bankenabgabe fällt klein aus. Vermögen wird weiter wenig bis nicht besteuert. Dafür fällt der Klimabonus und Erhöhungen bei Familienleistungen werden ausgesetzt. Die Handschrift der SPÖ in der Regierung ist klein, oder?
Kocevar: Das würde ich so nicht sagen. Ja, die Bankenabgabe ist nicht so hoch wie von uns gewünscht. Ja, die Energieübergewinnsteuer ist nicht so hoch wie von uns gewünscht. Aber das alles hätte es ohne SPÖ gar nicht gegeben. Die Handschrift ist da. Aber bei einem Wähleranteil von 21 Prozent kann man nicht erwarten, dass 50 Prozent Sozialdemokratie im Regierungsprogramm stecken. Wir haben 2017 ein ausgeglichenes Budget übergeben. Jetzt waren wir bereit ein Budgetdesaster zu übernehmen.
SN: Wäre es mit der FPÖ einfacher gewesen?
Kocevar: Kickl hat die Verantwortung, Kanzler zu werden, nicht ergriffen. Er hat sich gescheut zuzupacken. Bei einem Milliardenbudgetloch müssen Maßnahmen gesetzt werden, die unpopulär sind. Die FPÖ hat gezeigt, dass sie sich, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen in die Oppositionsrolle zurückzieht. Schreien bringt nichts, damit saniert man Österreich nicht. Wir scheuen uns nicht, Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen Österreich weiterbringen. Deshalb haben wir schwierige Ressorts, die aber Zukunftsressorts sind, übernommen.
SN: Kommen wir zum Abschluss nach Ebreichsdorf zurück. Werden die Bürger hier auch Einschränkungen spüren?
Kocevar: Am Tag genau heute vor 15 Jahren bin ich Bürgermeister geworden. Seitdem haben wir ständig Schulden abgebaut. Das hilft uns jetzt etwas.
SN: Also keine Einschränkungen?
Kocevar: Die Jahre der Überschüsse sind auch bei uns vorbei. Wir haben heuer noch eine knappe schwarze Null geschrieben. Auch wir müssen uns Personalkosten, Investitionen und Subventionen genauer anschauen. Die Frage ist, ob wir alles sofort brauchen oder etwas in die Zukunft schieben können. Arbeiten an der Volksschule Unterwaltersdorf haben wir jetzt beispielsweise um zwei Jahre verschoben. Auch deshalb, weil es sich mit den Schülerzahlen ausgeht. Wir müssen ebenso prüfen, ob wir Objekte und Räume doppelt nutzen können, statt einfach neue Gebäude zu bauen. Wir werden bei Investitionen noch viel genauer prüfen müssen, ob wir deren Zinsen stemmen. Mit viel Sorgfalt versuchen wir auch in Zukunft zu investieren, aber es ist ungleich schwieriger geworden.
Redaktion - 13:08:06 @ Ebreichsdorf, Politik, Region | Kommentar hinzufügen
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